Nach dem »Super-Wahlsonntag« sorgt sich »die Republik«. Das tut sie gern. »German Angst« ist so präsent wie eh und je. Sie sorgt sich vor einer Radikalisierung. Vor dem Auseinanderbrechen der gewohnten politischen Ordnung. Und tatsächlich kommt es einem so vor, als sei gar nicht die Sorge ausschlaggebend. Mehr klingt es so, als wolle man den Zustand lustvoll herbeireden, vor dem man doch eigentlich warnt. Gleich nach der redundanten Berichterstattung über die Ergebnisse des Votums in drei Bundesländern diskutierte man bei »Anne Will«. Ralf Stegner repräsentierte exemplarisch den Zustand der politischen Diskussionskultur. Er redete sich, nicht zum ersten mal bei Talkshows, in Rage und attackierte seine Kontrahentin Beatrix von Storch mit nachhaltiger Sturheit und Aggressivität, dass man sich nur die Augen reiben konnte. Maßlosigkeit ist das Gegenteil von politischer Mitte. Stegner behauptete locker, Beatrix von Storch und die AfD wollten (aktiv) auf Menschen schießen. Ja, auf Frauen und Kinder. Wenn die Partei der Juristin an »der Macht« sei, müsse man erwarten, dass sie erst die Meinungsfreiheit und dann Artikel 1, den Schutz der Menschenwürde abschaffen würde. Viel mehr agitatorische Luft nach oben ist nicht mehr möglich.
Die Möglichkeit des Wandels
Abgesehen davon, dass Grundgesetzartikel nur mit Zweidrittelmehrheit, die ersten Grundrechtsartikel aber gar nicht abzuschaffen sind, muss man sich die Frage nach der politischen Realität solcher Fantasien stellen. Gerade das Wahlergebnis in Baden-Württemberg zeigte, das Integration und politische Entwicklung machbar ist. Wer hätte noch vor ein paar Jahren gedacht, dass in einem erzkonservativen und bürgerlichen Land wie Baden-Württemberg ein grüner Ministerpräsident gewählt werden würde? Die Wähler lassen sich offenbar viel weniger durch Klischees leiten als manche Vertreter der politischen Klasse. Und auch Winfried Kretzschmann selbst ist ein gutes Beispiel dafür, dass man doch lieber auf Deeskalation setzen sollte, statt auf Konfrontation. Nach dem Muster der Scharfmacher und dem Radikalenerlass hätte der Mann kein Lehrer werden dürfen, wäre nicht in ein bürgerliches Leben gestartet und wäre kein geachteter Landesvater geworden. Denn Winfried Kretzschmann war in Studentenzeiten im »Kommunistischen Bund Westdeutschlands« tätig.
Dialog statt Isolierung
Der galt als verfassungsfeindlich, wurde von der DDR bezahlt und fand Regime toll, die sich mit Massenmorden ins Buch der Geschichte eintrugen. Mao-Fans und Kambodschapilger. Wer hätte geglaubt, dass die mal mehrheitsfähig werden? Und gute Demokraten? Warum also der Alarmismus? Hatten die Protestwähler nicht gerade einer gemäßigteren AfD die Stimme gegeben und gerade nicht der ns-affinen, viel radikaleren NPD, die ebenfalls auf dem Wahlzettel stand? Es ist in diesem Zusammenhang gar nicht die Frage, was vom politischen Programm der AfD zu halten ist. Vielmehr geht es darum, wie politische Auseinandersetzung und Kultur ablaufen soll. Und welche Wirkungen sie zeitigen. Was will man? Keine weitere Spaltung und Radikalisierung? Dann darf man politische Strömungen, die die Folge von ungelösten Problem und Angst sind, nicht isolieren und kriminalisieren. Dass das mit demokratischer Streitkultur nicht viel zu tun hat, darauf weist gerade sehr nachdrücklich der Politologe und Mitbegründer der Aussteiger-Organisation exit, Dr. Bernd Wagner, in einem Interview hin.
Freiheitsgefährdung schafft Probleme
Wagner kritisiert, dass PEGIDA und AfD zu neuen Nazis hochgeredet würden: »Es droht in Deutschland bei nunmehrigem Einsatz von Filter- und Nachweisprogrammen im Internet eine kurzatmige und freiheitsgefährdende Strafverfolgung des Worts.« Stattdessen fehle eine öffentliche Diskussion darüber, was wirklich freiheitsgefährdend sei. Denn es gebe natürlich ein »Maß des Dunklen« in einer freiheitlichen Gesellschaft. Dieses Maß sei aber nicht durch »Häme, Geschrei oder gar ultralinke Straßengewalt« zu verringern, sondern durch strukturelles Handeln. Schließlich sei die freiheitliche Verfasstheit der Gesellschaft selbst Voraussetzung dafür, dass nicht Totalitarismus um sich greife. Zu der Frage der Einschätzung der AfD, meint Wagner: »Die Frage ist, wohin die Partei geht, nicht so sehr, wo sie derzeit steht. Um weiterem völkischen Drive entgegenzuwirken, heißt es, überzeugende Alternativen zur Alternative für Deutschland zu erarbeiten und das nicht nur mit dem Prinzip Hoffnung sowie Gedulds- und Vertrauensappellen.« Deutschland nach dem Superwahlsonntag. Statt Angst vor politischer Radikalisierung täte mehr Vertrauen in die Demokratie not. Und Dialog statt Konfrontation.
Dieser Beitrag erschien zuerst bei den Integrationsbloggern.