Im letzten Jahr war ich wieder einmal in Dresden nach langer Zeit. Bei der Gelegenheit besuchte ich das Manometer, das ich einige Jahre vorher mit einem Beitrag bei den Integrationsbloggern gewürdigt hatte. Ich möchte ihn hier noch einmal veröffentlichen und dazu anregen, diese wunderbare Kunst selbst zu besuchen und zu erleben:
Ich hatte erst gar nicht den Namen verstanden. Im Auto ist das immer so eine Sache. Ab 100 Stundenkilometer werden Wortbeiträge bei NDR-Kultur oder Deutschlandradio zu einem Aufmerksamkeitstraining. Jedenfalls in den Autos, die ich fahre. Und schließlich ist es bei fremden Namen nicht leicht für mein Hörverständnis. Das ist auch bei Kino- oder Buchbesprechungen so. Wenn man nichts zu Schreiben zur Hand hat, kann die Titelsuche problematisch werden. Ein Lob auf Google. Hier werden ähnliche Lautungen beim Suchen honoriert. Zumindest, wenn sie mit den entsprechenden Begriffen gepaart werden. Zuerst wollte ich schon wegschalten. Der Name klang fremd. Vielleicht arabisch. Ich hatte ihn noch nie gehört. Ein Interview über vierzig Minuten, bei dem der Befragte sich Musiktitel wünschen darf. Den Anfang hatte ich verpasst. Es ist ja schwierig, wenn man etwas über Kunst nur hört. Es sei denn, es handelt sich um Musik. Und moderne Kunst. Selten, dass die mich vom Hocker reißt. Und dennoch.
Ein iranisches Liebeslied
Das Gespräch fesselt. Eine ruhige Stimme. Jemand, der in der DDR aufgewachsen ist. Er stammt aus dem Iran. Sein Vater wurde als Kommunist vom Schah verfolgt und von dessen Häschern umgebracht. Ich drehe den Lautstärkeregler höher. Ein Lied wird eingespielt. Der Architekt und Künstler, das wird allmählich deutlich, hat für seinen Vater ein iranisches Liebeslied – »Küss‘ mich noch einmal« – aufgenommen. Eine berührende Geste. Mit dem seien die Widerständler auf den Lippen gestorben. Man kann sich das gar nicht vorstellen. Diese Situation. Ich hätte vermutlich nur Angst gehabt. Obwohl so ein Lied sicher auch Kraft gibt. Die Flucht der Familie über Wien. Die Mutter war mit ihm schwanger. Musste ihren Bauch zusammenschnüren, um überhaupt ausreisen zu dürfen. In der Zeit des Kalten Krieges gab es die zwei Lager. Yagedar Asisi, ich bin inzwischen kurz rechts ran gefahren und habe den Namen über das Handy gefunden, wuchs in Halle auf. Ein unauffälliges Leben. Kein Klugschwätzer, der es schon immer wusste.
Drinnen und draußen
Als Emigrant sei er aufgewachsen erzählt er zwischen den Musiktiteln. Charles Aznavour »Emmenez moi« zum Beispiel. Mich haben diese französischen Chansons stets fasziniert. Es spricht so eine Sehnsucht aus ihnen. »Nimm mich mit«. Oder Jacques Brels geheimnisvolle schöne Marieke, die mir noch in den Sinn kommt. Und da spricht jetzt ein iranischer Deutscher oder deutscher Iraner über die Mauer. Über die Normalität und das Banale des Bösen. Man würde sich mit den grausamsten Dingen im Alltag arrangieren. Das gelte etwa für die Mauer. Wie habe ich den Todesstreifen und die Grenze als Jugendlicher gehasst. Dieser Künstler wird mir immer sympathischer. Als Mensch allein. Da kann seine Kunst nicht schlecht sein. Demut sei ein Begriff, den er mehr und mehr schätze. Dankbar zu sein. Auch für all die Dinge, die einen weitergebracht hätten, und von denen man nichts mehr wisse. Was mag das für ein Mann sein, der für eine Autofahrt an meiner Seite sitzt? Und an der Seite vieler verstreuter Radiohörer. Einer bereitet vielleicht gerade das Mittagessen vor. Der andere sitzt bei einem Kaffee im Büro zur Pause. Einen Augenblick noch auf dem Parkplatz wartend, um das Ende nicht zu verpassen, geht er mir über Tage nicht aus dem Kopf.
Aus der Zeit gefallen
Yadegar Asisi ist Vertreter der Panorama-Malerei. Ist also eigentlich aus der Zeit gefallen. Denn die war vor 200 Jahren »in«. Es gab damals kein Kino. Perspektivische Darstellungen von Landschaften oder Ereignissen mit einer 360-Grad-Sicht unterhielten die Menschen schlichtweg. Asisi hat die Modernität dieser Technik aufgegriffen, war von der Totalität des Eindrucks fasziniert. Man steht in einem Panorama und ist von nichts anderem abgelenkt. Er wählt Themen, die provozieren. Etwa illustrierte er die Ereignisse 1945 in Dresden oder die Lebenswirklichkeit der Mauer. Hierüber spricht er auch in dem Interview. Bemerkenswerte Sätze. »Ich finde diese Arroganz von vermeintlichen Siegern auf die vermeintlichen Besiegten mit den Fingern zu zeigen und zu sagen, Du hast Schuld. Du warst nicht jeden Tag Held. Und wie konntest Du Dir das bieten lassen. Das geht nicht. So einfach geht Geschichte nicht.« Für Opferempathie muss man nicht demonstrierend auf die Straße gehen. Schon gar nicht mit Hassparolen.
Empathie statt Urteil
Man dürfe nicht Richter sein, sondern müsse in die Geschichte der Menschen hereingehen, erklärt Asisi in dem Interview. Ein Krieg produziere Leid und Konflikte über Generationen. Und mit seiner Kunst wolle er den Standpunkt der Lebenswirklichkeit der Menschen darstellen. Empathie zu wecken, Dinge begreifbar zu machen sei sein Ziel. Das Leid von Kriegen und Diktaturen erreichten die Menschen kaum. Ob in der Vergangenheit oder der Gegenwart. Das könne Kunst ändern. Identitätsstiftung im besten Sinne des Wortes ist das. Identitär, das Wort ist so lange nicht problematisch, als es in der Sphäre der Kultur bleibt und nicht zum politischen Kampfbegriff wird, geht es mir durch den Kopf. Und wenn man dann die Panoramen sieht, versteht man das auch. Dresden 1945 transportiert keinen Opfermythos oder entschuldigt nichts, sondern formt den Augenblick des Leides künstlerisch um. Das Mauerpanorama zeigt einfach einen anderen Standpunkt, ohne den man die Wirklichkeit nicht begreifen kann.
Lebendige Kunst. Aufgebrochene Denkmuster. Neue Eindrücke. Was man dem Hörerlebnis des guten alten Radios doch so alles verdanken kann.