Carl Larsson in der »Jakobs-Kemenate«

Ein Dienstag Abend im Dezember in Braunschweig. Es ist der 12. Dezember. Die Stadt ist in weihnachtlichem Aufruhr. Auf dem Weihnachtsmarkt drängeln sich die Menschen, zwischen Bratwurstbuden und Glühweinständen. Lichter blinken allerorten, »Jingle Bells«-Klänge quillen aus den Ritzen der Cafés und Bars, Restaurants sind gefüllt mit Kollegen, die ihre Jahres-Endfeier hier noch unter weihnachtlichem Motto begehen. Es nieselt. Die Lichter der geschmückten Stadt spiegeln sich auf dem tristen Asphalt genauso wie auf dem Kopfsteinpflaster, über das ich mit meinem Fahrrad holpernd und suchend fahre. 

Ich will zur »Jakobs-Kemenate«, denn dorthin haben Magnus Kleine-Tebbe und seine Frau eingeladen. Kleine-Tebbe ist Bildhauer, und ein ums andere Mal kam ich bei meinen Spaziergängen durch die Asse an einer Skulptur vorbei, die der Mann, der jetzt in einem weißen Stehkragenhemd und einer Zimmermannshose in dieser Kemenate an einem Beamer steht, geschaffen hat. Unglaublich schöne, ineinander verwobene Wesen hat er dem harten Material abgerungen, sodass der Stein durch diese Formen fast eine weiche geschwungene Erscheinung bekommt. 

Ich habe Glück, dass ich überhaupt hereingekommen bin. Statt Vorweihnachtsfeier soll es an diesem Abend um den schwedischen Maler Carl Larsson gehen, dessen Idylle ich in zahlreichen Bildbänden und einem Tablett, das ein typisches seiner Motive ziert, schon kennenlernen durfte. Glück, denn die Veranstaltung ist eigentlich ausgebucht. Telefonisch hatte ich in den Tagen zuvor niemanden erreicht und war aufs Geratewohl zum Vortrag gefahren. Eine ältere Dame mit einer akkuraten Anmeldungsliste wiegt skeptisch den Kopf, als ich mein Anliegen vortrage, am Abend teilzunehmen.

Vielleicht sei jemand abgesprungen, meint sie aufmunternd. Ich könne warten und hoffen. Das tue ich. Larsson gehört nicht zu meinen Malerfavoriten, wenngleich mich die biedermeierliche Idylle seiner Alltagsszenen schon berührt hat. Wenn es klappt, ist es gut, wenn nicht, dann trinke ich doch einen Glühwein. Aber das Schicksal hat ein Einsehen und ich bin Teil einer verschworenen Gemeinschaft von Kunstkennern, die sich wohl zu kennen und viele Jahre miteinander gegangen zu sein scheinen. Ich werde gleich als neues Gesicht identifiziert. Die geschlossene Gesellschaft wirkt aber nicht hermetisch, sondern freundlich offen. Alle warten auf die Bilder und die Geschichte dieses berühmten Schweden.

Und Magnus Kleine-Tebbe und seine Frau, ihres Zeichens Kunsthistorikerin, nehmen dieses Boot von Kunstinteressierten mit auf eine kleine Reise. Sie erzählen vom Künstler, dessen Talent mit zarten 13 Jahren schon offen zu Tage trat. Ich sehe die Idylle, die ich auch von meinem Tablett kenne, das ich in Schweden gekauft hatte. Da ist diese Familie, die an einem langen Gartentisch sitzt und fröhlich zecht und plaudert. Ein Hund auf der Bank blickt den Betrachter fröhlich an. Und nun erfahre ich, dass dieser Künstler an sich selbst zweifelte, depressiv war und bis an sein Lebensende in die Sorgen und Nöte der täglichen Unbilden verstrickt war. Mit den Bildern mag er die Schwermut auf seine Weise kompensiert haben. Die beiden Moderatoren berichten abwechselnd von Leben und Arbeit des Künstlers, der ein unglaubliches Oeuvre hinterlassen hat. Da sind markante Porträts, zarte, luftige hingehauchte Bilder mit impressionistischem Einschlag. Eine Frau reckt sich an einem Bach im Gras. Die Farben zerfließen im sommerlichen Licht.

Und dann erscheint der Carl Larsson, den ich kannte, mit seinen kontrastreichen, lichtdurchfluteten Alltagsszenen. Das rote Haus in Sundborn, die Zimmer, durch die uns der Maler führt, seine Kinder beim Angeln oder auf dem Stuhl wippend. Er und seine Frau beim müden Feierabend bei Stickerei und Lesen. Bunte Blumen blühen aus der Leinwand und dem Papier, das jetzt durch moderne Technik an eine Leinwand projiziert und durch begleitende Worte verlebendigt wird. 1 1½ Stunden vergehen wie im Flug. Wir lernen auch einen patriotischen Historienmaler kennen, der die Techniken der alten Meister ebenso beherrscht, wie die seiner typischen Aquarelle. Welch ein Versäumnis, dass ich nicht im Stockholmer Nationalmuseum war, als ich die Stadt besuchte. Denn dort verewigte sich der schwedische Meister sogar mit imposanten Fresken. Leider rieb sich der Vater von acht Kindern aber auch mit diesem Auftrag auf und verstarb, viel zu früh, mit nur 66 Jahren.

Das war 1919. In die Idylle des späten 19. Jahrhunderts war die hässliche Fratze des Krieges hereingebrochen. Während Larssons Menschen auf den Bildern so viel Wärme und Lebendigkeit ausstrahlen, musste der Meister des Lichts noch erleben, dass die gleichen Menschen in ihrem zerstörerischen Irrsinn auch alle Farben der Welt vertilgen können. Er starb 1919. Wie hätte er wohl weiter gemalt? Ein faszinierender Abend geht zu Ende, an dem ich von Künstlern die Leidenschaft eines anderen Künstlers im Vortrag erlebe. Eine Leidenschaft, die ich in den Bildern wiederfinde. Und eins hat dieser Abend für mich persönlich vollbracht. Er hat mir ein Auge geöffnet und einen Zugang geschaffen, zu einer Bilderwelt, die ich schon kannte und trotzdem nicht wirklich. Nach der Veranstaltung nieselt es weiter, der Dezembermond hat auch jetzt alle Farben verschluckt. Und doch tanzen in meinem Kopf das Rot und Grün, der Bilder Carl Larssons, der blaue Himmel und die Atmosphäre, die mich an Astrid Lindgrens »Ferien auf Saltkrokan« erinnern – Farben, die meinen tristen Alltag auffrischen.

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