Willkommenskultur – die brauchen wir dringend

Es wird gerade viel von Willkommenskultur gesprochen. Die Menschen sind weltweit zu Millionen auf der Flucht, weil ihnen die Heimat zerstört wird, weil Krieg und Korruption herrschen (an denen immer jemand verdient) und auch nach Europa und Deutschland kommen die Menschen. Neben Angst und Fremdenfeindlichkeit gibt es Offenheit. Die Politik fordert sie ein und Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig plant 12,5 Millionen Euro, um mit einem Programm »Willkommen bei Freunden« eine positive Stimmung zu schaffen. Aber muss man sich wirklich wundern, dass in der breiten Bevölkerung Willkommenskultur nur wenig ausgeprägt ist? In welchem Umfeld bewegt sich die Flüchtlingsproblematik? Wie sieht die Gesellschaft aus? Denn wenn woanders Willkommenskultur gepflegt wird, könnte man das auch in der aktuellen Krise erwarten. So richtig glauben kann man daran aber nicht.

Willkommenskultur fängt im Säuglingsalter an

Willkommenskultur fängt im Säuglingsalter an und hört im Greisenalter auf. Zu Beginn des Lebens. Allein im ersten Quartal dieses Jahres wurden 26.400 Kinder abgetrieben. Sie kamen nach der Zeugung also gar nicht erst auf die Welt. Niemand hieß sie willkommen. Aus welchen Gründen auch immer. Und das in einem reichen Land wie Deutschland. Wenn sie dann doch da sind, die Kinder, sollen sie möglichst schnell in staatliche Obhut gebracht werden. Kinderkrippe heißt das Zauberwort. Für einen Hartz-IV-Empfänger, der viel Zeit für seinen Nachwuchs hätte, gelten Kinder als »Vermittlungshinderniss«. Wilkommenskultur sieht anders aus. Familien mit Kindern werden seit Jahrzehnten konsequent schlechtergestellt. Willkommenskultur?

Selektion ist üblich

Dann wächst der Nachwuchs in die Gesellschaft rein. In der Schule wird von Anfang an selektiert. Wer nicht funktioniert, wer die Sprache nicht gut beherrscht, wer nicht dem entspricht, was gewünscht wird, wird selektiert. Schulabbrecher ohne jede Chance sind Legion in einem System, das nur den Erfolg würdigt. Wer nicht funktioniert, ist auch nicht willkommen. Am Anfang wird das noch nicht so deutlich. Wenn es zum Abschluss geht, immer mehr. Da sind nur die intellektuell Begabten gefragt. Ob sie menschlich begabt sind, ist egal. Selbst für manchen Ausbildungsplatz zum Verkäufer muss man schon Abiturient sein. Ansonsten ist es nichts mit der Willkommenskultur. Menschen, die an dem Erfolgssystem zerbrechen und psychisch erkranken, werden mit Tabletten vollgestopft oder/ und in Klinken abgeschoben.

In der Mühle von Hartz IV

Selbst wer einen Job bekommt, muss sehen, dass er nicht in eine Zeitarbeitsfirma ausgegliedert wird, in der man so disponibel ist, dass noch nicht einmal ein Kredit für ein Auto möglich ist. Schließlich kannst Du morgen schon gefeuert werden. Diejenigen, die gar nicht dorthin kommen und gleich in Hartz IV kommen – über vier Millionen sind das. Die sind sowieso nicht willkommen. Außer die Bürokratie zu erfüllen. Strammstehen beim Amt. Nicht den Wohnort verlassen dürfen. Keine freie Berufswahl mehr. Degradierung zum Nichts, selbst wenn man gut ausgebildet ist. Menschen sind negative Standortfaktoren. Jedenfalls wenn sie von ihrer Arbeit leben wollen. Die gut Qualifizierten diejenigen, die die Wirtschaft braucht, die sind willkommen und die anderen? Um die kümmert sich keine Sau.

Alte Menschen stören

Und wenn man dann alt wird, wird man wieder nicht mehr gebraucht. Für alte Menschen ist keine Zeit da, weil diejenigen, die Arbeit haben, sich totschuften müssen. Wer Geld hat, kommt in ein Pflegeheim. Wer nicht, der hat Pech. Oder er kommt in eines jener Heime, an denen man nicht mal vorbeigehen möchte. Willkommenskultur? Da sind Menschen auf der Flucht. Die können unsere Sprache nicht. Manche werden begabt sein. Andere nicht. Wenn sie sich einleben wollen, brauchen sie unsere Hilfe. Sie brauchen eine Willkommenskultur. Aber vor allem eine Gesellschaft, in der Menschen überhaupt wieder willkommen sind. In der die Wirtschaft für die Menschen da ist und die Menschen für die Wirtschaft. In der Menschen gebraucht werden und nicht nur als lästiger Kostenfaktor gelten. Til Schweiger will jetzt in einem Flüchtlingsheim in Osnabrück verdienstvollerweise Werkstätten eröffnen. Richtig gelungen ist die Lösung, wenn Menschen nicht nur im Spiel dort arbeiten können, sondern in echt.

Vielleicht bietet also die Krise die Möglichkeit, über die Bedingungen einer menschlichen Gesellschaft nachzudenken. Dann hätte all das Leid und Unglück von Flucht und Vertreibung wenigstens noch einen Sinn.

Dieser Beitrag erschien zuerst bei den Integrationsbloggern.

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